Kiel / Schwerin (nordPR-Mediendienst) – Das Plattdeutsche Wort des Jahres 2020 „Snutenpulli“ für die Corona-Gesichtsmaske hat nicht nur Freunde.
Einer der stärksten Kritiker ist Jan Graf, Autor, Musiker und Fachmann fürs Niederdeutsche. In einem Interview mit dem regionalen Hamburger NDR-Hörfunkprogramm 90,3 meint Graf, dass solche Ausdrücke die niederdeutsche Sprache sogar beschädigen.
„Wir haben im Hochdeutschen“, so Graf,“ neutrale Worte wie ‚Gesichtsmaske‘ oder ‚Mund-Nasen-Bedeckung‘, die diesen Infektionsschutz vor dem Gesicht jetzt bezeichnen. Natürlich ist klar, dass das nicht reicht. Eine voll ausgebaute Sprache sucht auch nach scherzhaften Wendungen, die bei vertraulicheren, inoffiziellen Gesprächen benutzt werden können. Und so wie wir vielleicht statt ‚Fahrrad‘ manchmal ‚Drahtesel‘ sagen wollen, wenn wir ein bisschen lustig sind, so suchen wir jetzt das gemütlichere Pendant zur nüchternen ‚Mund-Nasen-Bedeckung‘ und folgen dem Vorschlag ‚Snutenpulli‘.
Nach Ansicht von Jan Graf diene hier das Plattdeutsche als Wortsteinbruch, in dem das Hochdeutsche sich gern bedient, wenn es stilistisch bewusst nach unten gehen soll. Und viele Sprecher des Plattdeutschen selber folgen auch noch laut Graf dieser Festlegung ihrer Sprache auf das Zotig-Gemütliche. Sie meinen in einer völlig unzulässigen Verallgemeinerung, dass ‚Snutenpulli‘ jetzt auch in ihrer Sprache das normale Wort für diese Gesichtsmaske ist. Es sei wirklich peinlich zu sehen, wie erwachsene Menschen sich selber so erniedrigen.
Es gab den Einwurf, dass Sprache doch auch spielerisch und kreativ sei und in schwierigen Zeiten immer wieder ironische Kontrapunkte setze. Darf das Plattdeutsche nicht auch Humor transportieren?
Laut Jan Graf sei dies ein typisches Argument, dass immer dann kommt, wenn man bemängelt, dass das Plattdeutsche sich ausschließlich für die Klamotte hergibt, für den scherzhaften Begriff. Dann gelte man als Miesepeter und Langweiler. Tatsache sei doch aber, dass der Norden mit dem Plattdeutschen, einer eigenen Regionalsprache, einen ziemlichen Schatz zu verwalten hat. Da machen, nach Grafs Ansicht, die Plattdeutsch-Erben wirklich einen lausigen Job, wenn sie der Sprache nicht erlauben, dass sie sich auch in nüchtern-offiziellen oder gar schöngeistigen Zusammenhängen als funktionsfähig bewährt.
„Mund-Nasen-Bedeckung heißt auf Plattdeutsch ‚Snutenpulli‘, ‚Ackersnacker‘ ist Mobiltelefon und zum Staubsauger sagen wir ‚Huulbessen‘? Wer soll uns als Plattdeutsche denn ernst nehmen, wenn wir nicht nur der plattfernen Mehrheit im Land erlauben, uns da zu verorten, sondern, wenn wir selbst da auch noch mitmachen? Nix gegen ‚Snutenpulli‘, nix gegen die Ebene des Scherzhaften, aber wenn das alles ist, was unser Lexikon zu bieten hat, dann ist das sehr wenig.“, so Jan Graf. Und es sei sogar, so Graf später gegenüber NDR 1 Welle Nord, nicht nur wenig, sondern es sei einfach nur noch traurig.
Seine Ansicht zu diesem Thema und seiner Kritik am Jahresplattdeutschwort ‚Snutenpulli‘ sorgt auch in den sozialen Medien für reichlich Wirbel.
In diesem Zusammenhang meint Jan Graf im Interview auf Hamburgs Stadtsender NDR 90,3:
„Ich habe etwas über Social Media gelernt. In Foren, in denen Administratoren darauf achten, dass die Teilnehmer nicht den Autor persönlich beleidigen, sondern sich mit seinen Positionen inhaltlich befassen, entfaltete sich eine schöne Diskussion. Das war echt gut. In sich selbst überlassenen Foren wurde der Autor aber doch mehrheitlich persönlich beschimpft. Wie soll man das deuten? Eine Art sprachliches Stockholm-Syndrom vielleicht – die Freunde des Plattdeutschen solidarisieren sich mit seiner Herabwürdigung. Vielleicht sind wir glücklich, überhaupt noch wahrgenommen zu werden, und sei es als Clowns. Damit rangiert unsere wunderbare großartige Sprache in ihrer Relevanz heute irgendwo zwischen Katzenbabys und Kalendersprüchen.“
Auf die abschließende Frage, ob das Niederdeutsche auf dem Weg zu einer Hinterwäldler-Sprache sei und die Native Speaker machen mit – Wie kommt das Plattdeutsche da raus?, sagt Graf nach anfänglichem Zögern:
„Keine Ahnung. Indem wir anfangen, darüber nachzudenken – vielleicht.“
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